Mit der Glaskugel auf Streife
Dr. Thomas Schweer entwickelt Algorithmen, die kriminelles Verhalten vorhersagen sollen. Das ist weder Hexerei — noch Zukunftsmusik.
Dr. Thomas Schweer kann in die Glaskugel blicken. Zugegeben: Seine Glaskugel ist weder rund noch durchsichtig, sondern verweilt als Software auf Computern in Behördenbüros. Und wer die Bundestagswahl gewinnt oder die nächsten Oscars bekommt, weiß Schweer auch nicht. Aber das will er auch gar nicht: Der Sozialwissenschaftler arbeitet an Algorithmen, die Kriminalität vorhersagen sollen — Computerprogramme, die wissen, wo’s brennen könnte. Ein Frühwarnsystem für unsere Sicherheit.
Doch wer nun vor seinem inneren Auge verhinderte Morde und vereitelte Terroranschläge sieht, der irrt: „Uns geht es nicht um Kapitalverbrechen“, sagt Schweer. Schon allein aufgrund der geringen Fallzahlen wäre es „albern“, solche Verbrechen solide vorhersagen zu wollen. Das Arbeitsfeld seines Oberhausener Instituts für musterbasierte Prognosentechnik (IfmPt) ist vielmehr die Massenkriminalität: Wohnungseinbrüche, Diebstähle in und aus Autos, illegales Graffiti. Bei diesen Delikten nämlich wird eines besonders deutlich: Menschliches Verhalten ist besser vorhersagbar, als uns im Alltag bewusst ist.
„Menschen“, sagt Schweer, „sind ganz und gar musterhafte Wesen. Wenn man sie lang genug analysiert, erkennt man die Gesetzmäßigkeiten, nach denen sie handeln.“ Da wäre zum Beispiel das near-repeats-Muster: Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass Verbrechen häufig in einem engen zeitlichen und räumliche Zusammenhang aufeinander folgen. Wo gestern eingebrochen wurde, wird heute mit höherer Wahrscheinlichkeit wieder ein Einbruch erfolgen. Auf Basis dieser Erkenntnis haben Thomas Schweer und seine Kollegen am von ihm mitbegründeten IfmPt ein automatisiertes Berichts- und Prognosesystem für den Wohnungseinbruch entwickelt: PRECOBS. Versorgt man den Algorithmus täglich mit Daten zu Ort, Zeit und Modus Operandi der Einbrüche, berechnet er besonders gefährdete Gebiete — die dann verstärkt bestreift werden können.
Doch Thomas Schweer und seine Kollegen erforschen und entwickeln nicht nur, sondern verkaufen PRECOBS auch an Polizeibehörden. In München und Mittelfranken beispielsweise ist die Software schon seit 2014 im Einsatz, ebenso im schweizerischen Kanton Aargau. Baden-Württemberg hat gerade die Testphase abgeschlossen und entscheidet nun, wie es weitergeht. Schweer ist optimistisch: „Die Praxiserfahrungen sind sehr gut.“ In fünf bis zehn Jahren, sagt er, sind Algorithmen zur Gewaltprävention in Polizeibehörden „Standard.“
Werden Polizisten also bald durch Computer ersetzt? Mitnichten. „Polizisten brauchen wir immer“, sagt Schweer. Sie sind es, die die Daten sammeln und einpflegen. Sie sind es, die entscheiden, ob die vom Algorithmus berechneten gefährdeten Gebiete tatsächlich mit mehr Streifen versorgt werden. Die Polizisten sind es schließlich auch, die dann auf Streife fahren. Oder, wie Schweer formuliert: „Eine Software fährt nicht durch die Stadt.“
Trotzdem: Die Software brauchte eine Weile, um langsam in der Organisationskultur der Polizei etabliert zu werden. 15 Jahre, um genau zu sein: Seit 2002 arbeitet Schweer an der Technologie. 10 Jahre war er zuvor als Kriminologe mit Polizisten im operativen Einsatz unterwegs — und immer wieder habe er sich gefragt: „Wie kann man den Polizisten sagen, wo sie gebraucht werden?“ Mit PRECOBS hat er die Antwort gefunden. „Wenn die Polizisten sagen ‚Das macht Sinn!‘ — dann haben wir doch so schlechte Arbeit nicht gemacht.“
Schweer hat einige dieser Sätze in petto, denen man anmerkt, dass er sie nicht zum ersten Mal sagt. Er redet gern über seine Arbeit — auch, um Zweifel abzubauen. Nicht nur, dass es bei vielen Skepsis hervorruft, menschliches Verhalten zu berechnen. Auch die Frage nach dem Datenschutz wird Schweer immer wieder gestellt, wenngleich er dann besänftigen kann: „Wir brauchen keine personenbezogenen Daten, um vernünftige Prognosen machen zu können“, sagt er. Dass neue Technologien nicht sofort mit Kusshand empfangen werden, findet er aber völlig legitim. „Wir müssen den Leuten die Technik vernünftig erklären und transparent machen“, sagt er. „Dann erschließt sich der Nutzen schnell.“ Der Schlüssel liegt also im face-to-face-Gespräch.
Genau dafür wird es am Dienstag (20.06., 19 Uhr) im Dresdner Stadtmuseum ausreichend Gelegenheit geben. Dann nämlich wird Thomas Schweer unter dem Titel „Wird er, wird er nicht…? Algorithmen zur Gewaltprävention“ seine Software ausführlich vorstellen und diskutieren. Der Blick in die Glaskugel verspricht: Es wird spannend. (lma)
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